Disco Elysium im Test
Mit der Final Cut Version von Disco Elysium erschien im März für alle gängigen Geräte endlich eine angepasste und überholte Version des einmaligen Rollenspiels vom Entwickler ZA/UM (UK).
Inhaltsverzeichnis:
Disco Elysium Handlung
Disco Elysium beginnt wie eine beliebige Iteration der Hangover Film Reihe. Ihr erwacht in einem getrashten Hotelzimmer, Bier und Weinflaschen liegen überall verstreut, eine entsetzlich häßliche Krawatte baumelt langsam entlang der Rotation des Zimmerventilators. Während ihr noch eure Kleidungsstücke im Raum zusammensucht, bemerkt ihr auch das zerstörte Radio und stellt fest, dass die Bruchstelle des Zimmerfensters eine etwas zu große Ähnlichkeit mit der Form eures zweiten grünen Schlangenlederschuhs hat.
Langsam dämmert es euch, dass ihr wohl am ehesten für die Schäden verantwortlich seid. Im Flur trefft ihr eine Frau die euch erklärt, dass ihr Detective seid und eigentlich mit der Aufklärung eines Lynchmordes im Stadtteil Martinnaise betraut seid. Doch statt der Aufklärung des Falles scheinen wir eher mit täglichen Saufgelagen und emotionalen Ausbrüchen im Hotel gekämpft zu haben, was praktischerweise auch den kompletten Blackout des Charakters erklärt.
Kurz darauf lernt ihr euren Kollegen in diesem Fall, Kim Kitsuragi, kennen, der euch fortan als Sidekick zur Verfügung steht. Im Hof des Hostels baumelt (wie wir erfahren bereits seit sieben Tagen) tatsächlich eine Leiche von einem Baum. Im Folgenden sind wir mit der Aufklärung des Mordes betraut. Diese Detective Story ist auf der einen Seite ein wundervoll klassisches Whodunnit mit Allem was dazu gehört, auf der anderen Seite aber auch ein kritischer Diskurs über zentrale Fragen der eigenen politischen und sozialen Orientierung und Überzeugung.

Bei der Aufklärung des Mordes landet ihr mitten inzwischen der Auseinandersetzung der sozialistischen Gewerkschaft, die vielleicht nicht ganz zufälligerweise gerade das Hafenareal von Martinnaise bestreikt und dem Großkapital in Form des Unternehmens Wild Pines auf der anderen Seite. Zur Aufklärung des Falls und zum besseren Verständnis der Gegebenheiten befragt ihr Zeugen (und allerhand andere Leute), untersucht den Tatort und die Leiche, und erkundet nach und nach größere Bereiche des Stadtteils sowie eines angrenzenden Fischerdorfs.
All diese Orte sind liebevoll expressionist gestaltete Ölgemälde, die als Gebiete mit vielen Interaktionsmöglichkeiten fungieren, die sich nach und nach organisch im Verlauf der Geschichte entfalten. Fast überall gibt es regelmäßig etwas Neues zu entdecken, wobei ihr auch verschiedene Nebenmissionen annehmen könnt. Dazu zählt beispielsweise die Jagd nach einem Kryptoinsekt und das Erkunden eines vermeintlich verfluchten Gewerbeblocks.
Disco Elysium spielt dabei in einer alternativen Zeitlinie mit ihren eigenen Revolutionen und sozio-kulturellen Gegebenheiten und Eigenarten die häufig als skurille Ebenbilder zu realen Phänomenen gesehen werden können. In diesem Sinne ist Disco Elysium auch ein interaktiver Schlagabtausch, der es euch ermöglicht unterschiedliche Wertvorstellungen und Weltanschauungen spielerisch zu deklinieren.
Und selten war es so spaßig, unangebrachte Lines zu droppen, wie als alkoholsüchtiger, abgehalfterter Cop. Diese intensive Atmosphäre wird vor allem durch die wundervolle Vertonung intensiviert. Nahezu alle Dialoge sind mit verschiedenen (erstklassigen) Sprechern besetzt, die alle mit ihren eigenen Spracheigenheiten ausgestattet sind. Das lässt die Charaktere sowohl lebhafter erscheinen, verbessert jedoch auch den Spielfluss und erhöht den Wiedererkennungswert der vielen beteiligten Personen, die wir in Disco Elysium kennenlernen dürfen.
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Disco Elysium Gameplay
Disco Elysium ist ein konsequentes Pen&Paper Rollenspiel. Das bedeutet grundsätzlich, dass ihr die Umgebung aus isometrischer Perspektive erkundet. Die Gameplay Elemente bestehen vor allem aus Point & Click Elementen sowie jeder Menge Dialoge. Eigentlich hauptsächlich Dialoge.

Wie man es von einem Pen&Paper Rollenspiel erwarten würde, sind die Dialoge in Disco Elysium sowohl dazu da, die Story voranzutreiben, sie fungieren jedoch auch als ein effektives Gameplayelement. Aber noch einmal kurz einen Schritt zurück: Zu Beginn könnt ihr aus drei verschiedenen Klassen wählen, mit denen ihr die grundsätzlichen Stärken und Schwächen eures Charakters festlegt. Dafür stehen euch vier Dimensionen zur Verfügung:
- Psyche: Enthält Attribute wie Innenleben und Suggestion. Hohe Werte hier lassen euch häufiger den richtigen Riecher haben. Außerdem lest ihr mehr Informationen zwischen den Zeilen in Zeugenbefragungen.
- Konstitution: Konstituion beeinhaltet Kategorien wie die persönliche Schmerzgrenze (bspw. praktisch bei der Untersuchung von Leichen) oder Elektrochemie (was eure Flirt- und Sozialinteraktionen bestimmt).
- Motorik: Nicht klug, aber stark. Unter dieses Attribut fallen Fähigkeiten wie Auge-Hand Koordination und Bewegungsfähigkeit. Ihr könnt euch einfacher durch die Welt fortbewegen, da ihr Hindernisse einfach niederschlagt oder geschickt in Wohnungen einsteigt um Beweise zu sammeln. Zeugen könnt ihr durch euer starkes Auftreten eher einschüchtern.
- Intelligenz: Wenig erklärenswert bestimmt Intelligenz eure grundsätzlichen kognitiven Fähigkeiten. Dazu gehören Fähigkeiten wie Enzyklopädie, das euch immer wieder die richtigen Wissensbrocken füttert, um in einem Gespräch souverän antworten zu können. Außerdem könnt ihr besser schauspielern und Lügen erkennen.

Jede dieser Dimensionen kommt mit XY-Kategorien bzw. Skills, die ihr im Verlauf des Spiels rollenspieltypisch aufleveln könnt. Darüber hinaus könnt ihr immer wieder Kleidungsstücke aufsammeln, die euch während des Tragens dauerhafte Boni auf die jeweiligen Fähigkeiten gewähren. In Unterhaltungen oder beim Interagieren mit der Umwelt werden diese Fähigkeitswerte immer wieder einer Würfelprobe unterworfen. Diese fungieren als kleinere und auch größere spielentscheidende Meilensteine.
Dementsprechend gibt es weiße und rote Würfelproben, wobei nur erstere, nach weiterem Aufleveln des nötigen Attributs, wiederholt werden können. Rote Würfelproben sind nicht wiederholbar, bei jeder Würfelprobe gibt euch das Spiel eure Erfolgswahrscheinlichkeit aus, gewürfelt wird mit zwei sechs-seitigen Würfeln. Das erfolgreiche Absolvieren dieser Dialoge oder Interaktionen gewährt euch Erfahrungspunkte, die ihr wiederum in weitere Level investieren könnt. Das müsst ihr allerdings nicht, denn als weiteres Rollenspielelement verfügt Disco Elysium über das sogenannte Gedankenkabinett, in dem ihr sozusagen eure eigene Gedankenforschung durchführt.

Diese Gedanken reichen vom endgültigen Ablassen von der eigenen Alkoholsucht zum Aufbau einer aktiven militanten Kommunistenzelle in Martinnaise. Gedanken erfordern dabei immer eine gewisse Ingame Zeit zum Erlernen und gewähren danach einen dauerhaften Boni (entweder direkt auf eure Attribute oder indirekt über höhere Erfahrungsbelohnungen bei ideologiegetreuem Handeln).
Jeder Gedanke nimmt dabei einen Slot in Anspruch, gegen Erfahrungspunkte könnt ihr weitere Slots erwerben oder alte Gedanken vergessen, wenn sie nicht (oder nicht mehr) eurem Spielstil entsprechen. Je nachdem welche Attribute ihr jedoch auflevelt ist euer Fortschritt für die einzelnen Fähigkeiten limitiert. Abhilfe schaffen hier Drogen wie Speed, mit denen ihr eure Lerngrenzen für eine gewisse Zeit steigern könnt. Dafür bezahlt ihr selbstverständlich mit einem Gewissen Preis in eurer Gesundheit.
Darüber hinaus findet ihr allerlei Hilfsgegenstände wie eine Taschenlampe und Brechstange und könnt alle möglichen Gegenstände wie Postkarten einsammeln und verkaufen. Oder ihr nehmt euch eine gelbe Plastiktüte zur Hand und verdient euren Unterhalt als Pfandsammler. Das Geld könnt ihr dann verwenden um den Schaden an eurem zerstörten Hotelzimmer abzubezahlen oder in Bücher und Kleidung investieren.
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Disco Elysium Kritik
Wenn ihr nicht gerne lest oder zumindest aufmerksam zuhört ist Disco Elysium vermutlich nichts für euch. Wenn aber doch, ist dieses Spiel ein wirklich außergewöhnliches RPG mit einer spannend erzählten Detective Story, dass es blendend versteht klassische Rollenspielelemente mit der Pen&Paper Mechanik zu verbinden.
Daraus entsteht ein einmaliges Spielerlebnis, dass mich über die knapp 30 Stunden Spielzeit auf seine urkomische und ironische Art wahnsinnig gut unterhalten hat. Ich bin bereits in der Vergangenheit ein großer Fan von Point-and-Click Adventures gewesen (bspw. Monkey Island; Runaway Serie, Yesterday) und als solcher fühlt man sich in Disco Elysium direkt bestens aufgehoben.
Auch für Fans von eher erzählerisch-orientierten Videospielen (bspw. Oxenfree, Firewatch) ist Disco Elysium mit seinen charmanten und klugen Dialogen einen Blick wert. Dennoch ist größere Erfahrung mit dem Genre nicht notwendig, alle Mechaniken werden gut erklärt. Disco Elysium nimmt uns hier und da unaufdringlich an die Hand, gewährt uns ansonsten aber freie Hand in der Erkundung der Mechaniken und tut sich somit selbst den Gefallen, nicht die Intelligenz des Spielers durch ständige Hilfestellungen zu untergraben.
Negativ fallen lediglich die, selbst in der vor kurzem veröffentlichten Final Cut Version, noch vorhandenen Spielabstürze auf. Außerdem war ich in meinem Durchlauf einmal nicht in der Lage meinen bisherigen Fortschritt erfolgreich zu laden. Glücklicherweise hatte ich regelmäßig auf mehreren Spielständen gespeichert, wodurch der Verlust nicht allzu groß war, zu manuellem Speichern sei dennoch jedem geraten.
Ansonsten ist Disco Elysium ein urkomisches, wildes Abenteuer mit einer fesselnden Geschichte und unglaublich immersivem Worldbuilding. Eine audiovisuelle Reise die einen herausfordert, bestraft und vor allem belohnt.
Disco Elysium Trailer
Fakten und Bewertung
Release | 15.10.2019 |
Genre | Rollenspiel |
Studio | ZA/UM |
Publisher | ZA/UM, Humble Bundle |
Platform | Nintendo Switch PlayStation 4 PlayStation 5 Xbox One Xbox Series Google Stadia macOS |